Ingo Vetter & Annette Weisser: NameGame*
Two workshops held at Halle für Kunst, Lüneburg, and Forum Stadtpark, Graz, 2002. We invited artists, writers, journalists, curators, designers and art mediators to discuss working conditions.
AGENTUR
Lena: Ich hatte einfach keine Lust mehr, mich in miesen Jobs aufzureiben. Beim systematischen Durchchecken meiner Möglichkeiten ist mir klargeworden, dass die einzigen Gelder, die zur Zeit zur Verfügung stehen, in ExistenzgründerInnen- programme fließen. Nach meiner Arbeit für den Besucherdienst der Documenta11 war das für mich der ausschlaggebende Grund, zusammen mit einer Kollegin eine Agentur für Kunstvermittlung zu gründen.
Murielle: Ich bin gerade dabei, eine Agentur zu gründen, um meine verschiedenen Tätigkeiten unter einen Hut zu bringen. Ich arbeite als Kontakterin, organisiere den Vertrieb und das Marketing für einige junge Möbeldesigner, habe mit einer Studienkollegin einen Film gedreht und mit einer Agentur aus Mannheim Webdesignaufträge abgewickelt. Die neue Agentur soll an den Schnittstellen zwischen diesen Teilbereichen ansetzen und die Kommunikation nach innen und außen optimieren. Hoffe ich jedenfalls!
Michael: "Agentur" hört sich so fett an ... wir sind zu zweit und haben eine GbR. Wir teilen uns ein großes Büro mit einem Flashanimateur, einem Werbetexter, einem Grafiker und einem Konzepter, das hat sich so ergeben. Jeder hat seine eigene Firma, aber wenn man uns alle zusammenpacken würde, hätte man wieder eine richtige Agentur. Allerdings gibt es selten Aufträge, die so umfangreich sind, dass sich das lohnen würde.
Tobias: Ich arbeite fest mit zwei weiteren Menschen zusammen, wir bieten Artistik, Grafikdesign und Nähen als "Dienstleistung" an, unsere Zusammen- arbeit geht aber weit darüber hinaus. Wir teilen uns Räume, und je nachdem, was gerade ansteht – ein Auftritt mit der Artistengruppe oder die Deadline für einen Flyer – verabreden wir gemeinsame Arbeitszeiten. Für unsere spezielle Art der Kooperation haben wir ein Idealmodell im Kopf, was aber in der Praxis ständig neu ausgehandelt werden muss. Für mich liegt ein großer Reiz darin, so unterschiedliche Tätigkeiten in ein Gleichgewicht zu bringen, es bereichert mich. Ich würde z.B. auch behaupten, dass wir Theoriearbeit machen, während wir am Trapez hängen. Das lässt sich meiner Meinung nach nicht trennen.
NEUE ARBEIT
Bettina: Mein Freund arbeitet als Unternehmensberater und hat während des Booms der New Economy "New Work"-Strategien mitentwickelt. Ich fand es sehr interessant zu beobachten, wie dort immer auf den Kulturbereich geschaut und gesagt wurde: So wollen wir auch arbeiten. Mit dem Zusammenbruch der New Economy hat man sich weitgehend von diesen Ideen verabschiedet, zumindest vom Glamour, der damit in der öffentlichen Wahrnehmung verbunden war. Trotzdem wirken Teile davon natürlich weiter, in der Regel in Form von Verlusten: von Sicherheiten, von Einkommen.
Stefan: In den Diskussionen der letzten Jahre über neue Produktionsformen in der New Economy, über Kreativität als Ressource usw. gab es die Tendenz, Erfahrungen aus diesem Bereich zu stark zu verallgemeinern. Man darf nicht vergessen, dass es immer noch ein ganz kleiner Teil der Gesellschaft ist, der so arbeitet. Diese Verzerrung wurde meiner Meinung nach vor allem durch die starke Rezeption italienischer Theoretiker wie Antonio Negri oder Maurizio Lazzarato produziert, die sich auf eine ganz andere Situation beziehen. So ist z.B. in Italien der Prozess der Deregulierung schon viel weiter fortgeschritten als in Deutschland.
Annette: Diese Verzerrung ist sicher auch darin begründet, dass die öffentlichkeitsgenerierenden Bereiche – die Medien und die Kultur – selbst Gegenstand dieses Prozesses sind.
Thorsten: Trotz materieller Einschränkung bin ich mir meiner Privilegien als Angehöriger der Klasse der BildproduzentInnen sehr wohl bewusst. Bedingt durch meine Krankheit habe ich in letzter Zeit sehr viel mit Ämtern und Behörden zu tun. Ich erlebe den Unterschied zwischen mir und dem "normalen" Klientel des Sozialamtes als total gravierend in Bezug auf Auftreten und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Im Gegensatz zu den meisten anderen in der Gesellschaft haben wir die Möglichkeit, Öffentlichkeit für unsere Sorgen und Nöte herzustellen, und damit verbunden auch ein ganz anderes Selbstbewusstsein. Die Fähigkeit, dem anderen ein überzeugendes Bild von uns selbst vermitteln zu können, bringt uns unschlagbare Vorteile.
FREUNDSCHAFTSDIENSTLEISTUNG
Annette: Christiane, du stehst gerade an der Schwelle zur Institutionalisierung. Weshalb willst du deinen Status als freie Kuratorin aufgeben?
Christiane: Als freie Kuratorin gebe ich den Druck, der auf mir lastet, zwangsläufig an die KünstlerInnen weiter, mit denen ich arbeite. Ich stelle mir vor, dass ich umgekehrt auch eine gewisse Sicherheit weitergeben kann. Ich denke, man hat als Kurator auch eine Verantwortung für das Netzwerk, aus welchem man schöpft.
Ingo: Einerseits werden Jobs im Bekanntenkreis weitergegeben, andererseits werden aber auch Jobs generiert, wenn z.B. größere Projekte abgewickelt werden, die nicht mehr von der eigenen "Ich-AG" zu bewältigen sind. Da stellt sich dann allerdings die Frage, wo die Grenze zwischen Freundschaftsdienst und Dienstleistung verläuft und damit die Frage nach der Bezahlung.
Thorsten: Natürlich bin ich bei meiner Arbeit auf die Hilfe und die Unterstützung von anderen angewiesen. Wenn ich z.B. Teilbereiche eines kommerziellen Auftrages an Bekannte weitergebe, beteilige ich sie selbstverständlich auch am Gewinn. Bei Ausstellungsvorbereitungen sieht es anders aus, aber da ich umgekehrt auch meine Unterstützung anbiete beim Basteln oder Schleppen, bleibt der Austausch von Hilfeleistungen durchaus im Gleichgewicht. Ich fände es sehr belastend, diesen Bereich ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten. Wenn ich z.B. anfangen würde, solche Hilfeleistungen zu bezahlen, würde ich den Empfänger unter Druck setzen, mich beim nächsten Mal auch zu bezahlen. Dadurch käme meiner Meinung nach eine Verklemmung in persönliche Beziehungen, die damit langfristig gesehen aufs Spiel gesetzt werden. Das wären mir die paar Euro nicht wert.
Stefan: Das sehe ich anders. Natürlich investiert man seine Zeit und seine Energie oft auf Verdacht, ohne auf eine unmittelbare Entlohnung zu rechnen. Aber sobald Projekte konkreter werden, hat sich meiner Erfahrung nach bewährt, möglichst früh Absprachen zu treffen über die Verteilung des zu erwartenden Gewinns. Das kann auch so aussehen, dass man mal wieder zum Essen oder ins Kino eingeladen wird als Dank für eine umfangreichere Textkorrektur. Mir geht es nicht um ein kleinliches Aufrechnen, aber diese eher symbolischen Gesten sind mir persönlich sehr wichtig.
Bettina: Da die finanziellen Möglichkeiten der halle_für_kunst beschränkt sind, bin ich nach wie vor gezwungen, mich selbst und meine MitarbeiterInnen auszubeuten. Wir sind nicht das Centre Pompidou, obwohl das einige Leute leider manchmal zu glauben scheinen. Deshalb versuche ich, meine Anerkennung für die Leistung der studentischen MitarbeiterInnen z.B. durch Beratung bei Magisterarbeiten oder die Vermittlung von Praktikumsplätzen zum Ausdruck zu bringen.
Thorsten: Der Begriff "Ausbeutung" in Bezug auf diese Netzwerkbeziehungen behagt mir gar nicht, lieber würde ich von "Kredit" oder "Vertrauensvorschuss" sprechen.
Stefan: Ein Bereich, der viel zu wenig wertgeschätzt wird, sind informelle Beratungsgespräche. Ich stelle jemand anderem das, was ich mir im Laufe der Zeit erarbeitet habe, kostenlos zur Verfügung: Mein Wissen zu bestimmten Themen und – nicht zu unterschätzen – mein Adressbuch, aber auch Literaturtipps oder Hinweise auf mögliche Förderquellen. Das ist nur sehr schwer zu evaluieren und passiert meistens so im Vorbeigehen, auf einer Party oder in einer Konferenzpause.
Christiane: Wobei mir die Vorstellung, dieses komplizierte Kommunikations- geflecht auf Heller und Pfennig ausrechnen zu müssen, ein Graus ist!
Bettina: Zumal ich persönlich das Gefühl habe, dass ich genauso viel aus diesem Informationspool zurückbekomme, wie ich hineingebe. Ich fühle mich, zumindest was das angeht, nicht ausgenutzt.
Andrej: Mit Rat und Tat helfe ich gerne, was ich allerdings nicht mehr mache, sind kostenlose Bewerbungs- oder Castingfotos. Die meisten wissen das einfach nicht zu schätzen nach dem Motto: Etwas, das nichts kostet, ist nichts wert.
Annette: Was die Handhabung dieser Tauschökonomie zusätzlich verkompliziert, ist, dass man zu jedem Knoten im Netzwerk eine andere Art von Beziehung unterhält, die wiederum einen eigenen Modus der gegenseitigen Wertschätzung impliziert.
Stefan: Das kann zu einer erheblichen psychische Belastung werden. Sowohl das Gefühl, bei jemandem in der Schuld zu stehen, als auch das umgekehrt das Gefühl, ausgenutzt zu werden.
Bettina: Ich war am Anfang schockiert, wie ich in meiner neuen Funktion als Institutionsleiterin plötzlich aus meinem Freundeskreis für alles Mögliche in Anspruch genommen wurde: Fördergelder akquirieren, finanziellen und organisatorischen Support für Projekte leisten, die mit unserem Programm gar nichts zu tun haben usw. Als wäre eine Institution ein Werkzeug, dessen man sich nach Gutdünken bedienen kann, wenn man einen persönlichen Draht zur künstlerischen Leitung hat.
Christiane: Ich finde es besonders problematisch in einem eher diffusen, halbinstitutionellen Bereich: Leute, mit denen man sich gut versteht und auch schon zusammengearbeitet hat, fordern einen ganz unverbindlich auf, sich zu diesem oder jenem zu äußern, während du selber ganz genau siehst, auf welche Verwertungsmechanismen das Ganze hinausläuft. Da fühle ich mich manchmal ziemlich verschaukelt. Trotzdem würde ich der Diskussion gerne eine positive Wendung geben: Man ist ja nicht ohne Grund miteinander befreundet, d. h., man teilt bestimmte Interessen und Haltungen. In der Regel freue ich mich, wenn jemand der Meinung ist, ich sei die geeignete Person, um ein Projekt weiterzubringen.
Michael: Wir arbeiten viel für Musiklabels, wir kennen unsere Kunden persönlich und wissen, dass die nicht viel Geld haben. Deshalb haben wir neben unserem normalen Stundensatz einen "Indy-Preis" eingeführt. Wenn man aber einmal mit solchen Deals angefangen hat, gibt es oft keine Grenzen mehr und man packt immer mehr kostenlosen Service und Support drauf – vor allem Hardware- und Softwarepflege. Am Ende ist man Netzwerkadministrator und Sicherheitschef, obwohl man nur für die Entwicklung der Webseite bezahlt wurde. Trotzdem versuche ich immer, solche Dinge irgendwie noch zu erledigen.
Bettina: Ich habe aus den eben beschriebenen Erfahrungen meine Schlüsse gezogen und dieses Jahr einen klaren Schnitt gemacht zwischen persönlichen Beziehungen und den Kooperationen, die sich aus meiner Arbeit für die halle_für_kunst ergeben. Auch auf die Gefahr hin, dass dabei Freundschaften auf der Strecke bleiben.
Stefan: An diesem Punkt würde ich eine Unterscheidung machen zwischen dem kreativ-künstlerischen Bereich und korporativen Strukturen wie z.B. Fernsehen. Im künstlerischen Bereich finde ich es völlig in Ordnung, wenn nachher irgendwo steht: Vielen Dank an so und so für Hinweise und Unterstützung. Damit findet ein teilweiser Rückfluss von dem Imagegewinn statt, zu welchem ich mit meiner kostenlosen Beratertätigkeit beigetragen habe. Ich verankere mich dadurch im selben diskursiven Feld wie der Autor oder die Künstlerin. Beim Fernsehen ist es genau umgekehrt: Riesige Teams bearbeiten jeweilige Teilbereiche einer Produktion, es tauchen aber überhaupt keine Namen mehr auf. Dieser Verlust wird kompensiert mit Geld.
Tobias: Nach allem, was ihr gerade schildert, müsste sich innerhalb dieser Netzwerkökonomie eine Art Ranking herausbilden. In Stefans Fall hieße das, dass du mit bestimmten Personen relativ oft ins Kino gehst und mit anderen gar nicht. Aber entspricht das automatisch dem Stellenwert, den diese Personen als Freunde für dich haben?
Annette: Wenn man deinen Gedanken zu Ende denkt, hieße das, dass Beziehungen, die nicht zumindest partiell auch Arbeitsbeziehungen sind, über kurz oder lang einschlafen ...
Tobias: ... und dass man innerhalb des eigenen Freundeskreises Karriere machen kann wie in einer Firma.